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Marseille 1940

4
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
354 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am15.02.20241. Auflage
Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. Es ist das dramatischste Jahr der deutschen Literaturgeschichte. In Nizza lauscht Heinrich Mann bei Bombenalarm den Nachrichten von Radio London. Anna Seghers flieht mit ihren Kindern zu Fuß aus Paris. Lion Feuchtwanger sitzt in einem französischen Internierungslager gefangen, während die SS-Einheiten näherrücken. Sie alle geraten schließlich nach Marseille, um von dort einen Weg in die Freiheit zu suchen. Hier übergibt Walter Benjamin seinen letzten Essay an Hannah Arendt, bevor er zur Flucht über die Pyrenäen aufbricht. Hier kreuzen sich die Wege zahlreicher deutscher und österreichischer Schriftsteller, Intellektueller, Künstler. Und hier riskieren Varian Fry und seine Mitstreiter Leib und Leben, um die Verfolgten außer Landes zu schmuggeln. Szenisch dicht und feinfühlig erzählt Uwe Wittstock von unfassbarem Mut und größter Verzweiflung, von trotziger Hoffnung und Mitmenschlichkeit in düsterer Zeit.

Uwe Wittstock ist Schriftsteller und Journalist und war bis 2018 Redakteur des Focus. Zuvor hat er als Literaturredakteur für die FAZ, als Lektor bei S. Fischer und als stellvertretender Feuilletonchef und Kulturkorrespondent für die Welt gearbeitet. Er wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis für Journalismus ausgezeichnet. Bei C.H.Beck ist sein Bestseller "Februar 33. Der Winter der Literatur" (6. Auflage 2021) erschienen, der in neun Sprachen übersetzt wurde.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextJuni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. Es ist das dramatischste Jahr der deutschen Literaturgeschichte. In Nizza lauscht Heinrich Mann bei Bombenalarm den Nachrichten von Radio London. Anna Seghers flieht mit ihren Kindern zu Fuß aus Paris. Lion Feuchtwanger sitzt in einem französischen Internierungslager gefangen, während die SS-Einheiten näherrücken. Sie alle geraten schließlich nach Marseille, um von dort einen Weg in die Freiheit zu suchen. Hier übergibt Walter Benjamin seinen letzten Essay an Hannah Arendt, bevor er zur Flucht über die Pyrenäen aufbricht. Hier kreuzen sich die Wege zahlreicher deutscher und österreichischer Schriftsteller, Intellektueller, Künstler. Und hier riskieren Varian Fry und seine Mitstreiter Leib und Leben, um die Verfolgten außer Landes zu schmuggeln. Szenisch dicht und feinfühlig erzählt Uwe Wittstock von unfassbarem Mut und größter Verzweiflung, von trotziger Hoffnung und Mitmenschlichkeit in düsterer Zeit.

Uwe Wittstock ist Schriftsteller und Journalist und war bis 2018 Redakteur des Focus. Zuvor hat er als Literaturredakteur für die FAZ, als Lektor bei S. Fischer und als stellvertretender Feuilletonchef und Kulturkorrespondent für die Welt gearbeitet. Er wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis für Journalismus ausgezeichnet. Bei C.H.Beck ist sein Bestseller "Februar 33. Der Winter der Literatur" (6. Auflage 2021) erschienen, der in neun Sprachen übersetzt wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406814914
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.02.2024
Auflage1. Auflage
Seiten354 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.13183290
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Vorgeschichten

Zwei Tage im Juli 1935


Berlin, 15. und 16. Juli 1935


Das Hessler in der Kantstraße ist ein etwas altmodisches Restaurant mit dunklen Tapeten, Kronleuchtern und schwerem Stuckdekor. Die ganze hintere Wand des Gastraums wird von einem wuchtigen, schwarzbraunen Büffet eingenommen, vor dem die Tische so präzise in Reih und Glied strammstehen, als hätte sie ein preußischer Feldwebel zum Appell antreten lassen. Von der Kantstraße aus sind es nur ein paar Schritte bis zum berühmten Romanischen Café gleich hinter der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Aber im Hessler ist es ruhiger und längst nicht so voll.

An einem der Tische sitzt Varian Fry allein beim Abendessen. Er kommt aus New York, ist siebenundzwanzig Jahre alt und Journalist. Wenn es so etwas gibt wie das Bild eines klassischen Ostküstenintellektuellen, dann kommt er dieser Vorstellung ziemlich nahe, schlank, mittelgroß, glattrasiert, mit ernstem, hellwachem Gesicht und randloser Brille. Fry lässt sich Zeit mit seinem Essen, er hat keine weiteren Pläne mehr für den Tag.

Auf den Straßen geht es lebendiger zu als in den vorangegangenen Wochen. Die Berliner genießen den milden Großstadtabend, bislang war der Sommer viel zu oft grau und verregnet. Fry ist vor zwei Monaten mit der Bremen, einem der schnellsten Transatlantikliner, nach Deutschland gekommen. Seither wohnt er, von ein paar Abstechern in andere deutsche Städte abgesehen, in der Hotel-Pension Stern am Kurfürstendamm, einem soliden, bürgerlichen Haus mit Zimmern zu günstigen Preisen, fünfzehn Mark pro Tag.


Varian Fry in Berlin, 1935


Fry ist auf Recherchereise hier. Einige Leute in New York halten große Stücke auf ihn. Er gilt als einer der vielversprechenden Newcomer unter den Journalisten der Stadt. Wenn er Ende des Monats nach Amerika zurückkehrt, wird er die Chefredaktion von The Living Age übernehmen, einer anspruchsvollen, bald hundert Jahre alten Monatszeitschrift, die sich vor allem mit außenpolitischen Fragen beschäftigt. Eine große Aufgabe für einen so jungen Mann wie ihn, und er hat klare Vorstellungen, welche Themen er für die Leser künftig in den Mittelpunkt stellen will. Seiner Ansicht nach geht die größte Gefahr in der internationalen Politik von den faschistischen Regimen in Europa aus, von Italien, Österreich und vor allem von Deutschland. Also hat er mit dem Verleger von The Living Age vereinbart, erst einmal ein paar Wochen in Berlin zu verbringen, um sich ein eigenes Bild von Hitlers neuem Deutschland zu machen, bevor er die Arbeit in der Redaktion antritt.

Man muss kein Prophet sein, meint Fry, um zu erkennen, dass Hitlers politische Strategie letztlich auf einen Krieg hinausläuft. Es genügt, seine haarsträubenden Ankündigungen Wort für Wort ernst zu nehmen und die Augen nicht zu verschließen vor dem, was er den Menschen im eigenen Land antut. Doch nur wenige Amerikaner haben den Mut dazu. Alle großen Zeitungen zwischen New York und Los Angeles berichten über die martialischen Aufmärsche der Nazis, die Aufrüstung des Militärs, die Verhaftungswellen, die Konzentrationslager. Aber sie ernten damit bei ihren Lesern kaum mehr als Schulterzucken. Europa ist weit weg, die Not der Great Depression im eigenen Land dagegen hautnah zu spüren. Jeder Versuch, die zähe Wirtschaftskrise in den Griff zu kriegen, beschäftigt die Amerikaner zehnmal mehr als die Nachrichten über einen fernen Despoten in einer seltsamen braunen Uniform.

In den vergangenen Wochen ist Fry quer durch Deutschland gereist, hat Dutzende von Interviews geführt mit Politikern, Wirtschaftsführern und Universitätsleuten, aber auch mit unbekannten Ladenbesitzern, mit Kellnern, Kirchenbesuchern und Taxichauffeuren, den sogenannten einfachen Leuten von der Straße. Außerdem lernt er Deutsch, um einen direkteren Zugang zu dem Land zu finden. Seine Notizbücher sind prall gefüllt. Er wird, wenn er wieder in New York ist, nicht nur in abstrakten Zahlen und Begriffen über Hitlers Staat Auskunft geben können, sondern auch aus persönlichem Erleben, anschaulich und konkret, wie sich das für einen Reporter gehört. Er hat viel vor, er will The Living Age zu einer Alarmglocke machen, die selbst den taubsten und trägsten Amerikanerinnen und Amerikanern in den Ohren schrillt.

Nach dem Essen zahlt Fry und macht sich in aller Ruhe auf den Rückweg zum Hotel Stern. Es liegt nur einen kleinen Abendspaziergang entfernt. Die Boulevards im Westen Berlins sind die Flaniermeilen der Stadt, elegante Geschäfte, Cafés, Kinos, Theater. Hier wohnen die wohlhabenden Bürger, die sich nicht in die stillen Villenviertel zurückziehen, sondern etwas vom Pulsschlag der Metropole mitbekommen wollen. Wenn Berlin trotz der geistigen Enge der Nazis noch immer so etwas wie internationalen Glanz verbreitet, dann hier.

Fry genießt den warmen Abend, über allem scheint eine entspannte Sommerstimmung zu liegen. Bis er, als er von der Kantstraße in Richtung Kurfürstendamm abbiegt, plötzlich Geschrei hört, Gejohle, splitterndes Glas, kreischende Bremsen. Es klingt nach Unfall.

Fry stürzt los. Und rennt auf dem Kurfürstendamm mitten hinein in eine Straßenschlacht. Von den Bürgersteigen zu beiden Seiten der Straße drängen junge Männer in weißen Hemden und schweren Stiefeln auf die Fahrbahnen. Sie stoppen Autos, reißen Türen auf, zerren Insassen aus den Wagen, schlagen auf sie ein. Eine Windschutzscheibe zersplittert. Überall Gebrüll, Gerangel, Männer, die am Boden liegen und getreten werden, Frauen, die unter Schlägen stürzen und um Hilfe schreien. Fry sieht SA-Leute in Uniform, die vor einem Café mit einer Armbewegung das Geschirr von einem Terrassentisch fegen, ihn anheben und durch das Schaufenster in das Lokal werfen. Einer der zweistöckigen Busse wird gestoppt, einige Schläger drängen hinein, schleppen Fahrgäste heraus, prügeln auf sie ein. Immer wieder Schreie: «Jude! Ein Jude!» oder «Tod den Juden!» Bedrohte Passanten reißen ihre Papiere aus der Brieftasche, um nachzuweisen, dass sie keine Juden sind. Ein Mann in dunklem Anzug rennt panisch in eine Querstraße, mehrere Verfolger hetzen hinter ihm her.

Fry steht im Tumult, fassungslos, niemand beachtet ihn. Er sieht einen weißhaarigen Mann mit einer klaffenden, stark blutenden Wunde am Hinterkopf. Die Umstehenden bespucken ihn. Er sieht Frauen, die von johlenden Angreifern herumgestoßen werden, bis sie stolpern und fallen. Er sieht bebende, aufgelöste, von Tränen überströmte Gesichter. Er sieht Polizisten, Dutzende von Polizisten, aber sie kommen den Geprügelten nicht zu Hilfe. Männer beschimpfen sie als «Judenknechte» oder «Volksverräter». Die Beamten regeln den Verkehr, verschaffen Bussen freie Durchfahrt, mehr nicht.

Dann nimmt Fry den Sprechgesang im Hintergrund wahr. Eine Stimme grölt ein paar Worte, Fry kann sie nicht verstehen. Es folgt ein zweiter, ein dritter, vierter Satz. Schließlich beginnt die Stimme von vorn, und die Randalierer in Hörweite, mit weißen Hemden oder SA-Uniform, nehmen die vorgesprochenen Worte auf und wiederholen sie brüllend im Rhythmus. Es ist wie der Wechselgesang in einer Kirche zwischen Vorsänger und Chor. Fry versteht noch immer nicht, was da geschrien wird. Später findet er jemanden, der es ihm übersetzt: «Wenn der Sturmsoldat ins Feuer geht, / ei, dann hat er frohen Mut, / und wenn s Judenblut vom Messer spritzt, / dann geht s nochmal so gut.»

Fry flüchtet in eines der Cafés, deren Fenster nicht zersplittert sind. Von dort beobachtet er die Straße, sie wird jetzt auf ganzer Breite von den Schlägertrupps beherrscht, kein Passant wagt sich auf Bürgersteig oder Fahrbahn. Zwei SA-Leute kommen ins Café und patrouillieren an den Tischen entlang, ein einzelner, vielleicht jüdischer Gast erstarrt, wendet den Kopf ab, versucht, den Blicken der Uniformierten zu entgehen. Die beiden steuern auf ihn zu, einer der Männer greift nach dem Ehrendolch an seinem Gürtel, holt aus, stößt die Klinge in die wehrlos daliegende Hand des Gastes und heftet sie an die Tischplatte. Das Opfer brüllt, kreischt, starrt entsetzt auf seine Hand, die Kerle lachen, der eine reißt das Messer wieder heraus. Feixend verlassen sie das Café, niemand hält sie auf.

Auf der Straße sammeln sich jetzt die Schläger. Ein großer junger Mann hält eine kurze Rede, kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Schlagworten und Beleidigungen, dann formiert sich eine Art Demonstrationszug. Die Männer skandieren...
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