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Der Apfelsammler

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.07.20141. Auflage
Nichts ist vergessen Nach der Trennung von ihrem Freund reist Hannah nach Castelnuovo in Umbrien, um das Erbe ihrer geliebten Tante Eli anzutreten: ein kleines Steinhaus voller Rätsel. Beim Aufräumen fallen ihr alte Briefe von Eli in die Hände, und sie beginnt zu lesen ... In den folgenden Tagen erkundet Hannah Castelnuovo, Elis zweite Heimat. Als sie zufällig auf ein Grundstück mit seltsam verbrannten Obstbäumen gelangt, wird sie unsanft von dort vertrieben. Dorfbewohner erklären ihr später, dass der schroffe Fremde harmlos und seine Leidenschaft das Züchten alter Obstsorten sei. Aus unerfindlichen Gründen hatte sich Eli einst mit dem »Apfelsammler« angefreundet, und auch Hannah sucht seine Nähe. Ist er der Schlüssel zu Elis Geheimnis?   Kennen Sie bereits die weiteren Romane von Anja Jonuleit bei dtv? »Das Nachtfräuleinspiel« »Novemberasche« »Rabenfrauen« »Herbstvergessene« »Die fremde Tochter« »Das letzte Bild«

Anja Jonuleit wurde in Bonn geboren. Sie arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie anfing, Romane und Geschichten zu schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Friedrichshafen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextNichts ist vergessen Nach der Trennung von ihrem Freund reist Hannah nach Castelnuovo in Umbrien, um das Erbe ihrer geliebten Tante Eli anzutreten: ein kleines Steinhaus voller Rätsel. Beim Aufräumen fallen ihr alte Briefe von Eli in die Hände, und sie beginnt zu lesen ... In den folgenden Tagen erkundet Hannah Castelnuovo, Elis zweite Heimat. Als sie zufällig auf ein Grundstück mit seltsam verbrannten Obstbäumen gelangt, wird sie unsanft von dort vertrieben. Dorfbewohner erklären ihr später, dass der schroffe Fremde harmlos und seine Leidenschaft das Züchten alter Obstsorten sei. Aus unerfindlichen Gründen hatte sich Eli einst mit dem »Apfelsammler« angefreundet, und auch Hannah sucht seine Nähe. Ist er der Schlüssel zu Elis Geheimnis?   Kennen Sie bereits die weiteren Romane von Anja Jonuleit bei dtv? »Das Nachtfräuleinspiel« »Novemberasche« »Rabenfrauen« »Herbstvergessene« »Die fremde Tochter« »Das letzte Bild«

Anja Jonuleit wurde in Bonn geboren. Sie arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie anfing, Romane und Geschichten zu schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Friedrichshafen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423423076
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum01.07.2014
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1376554
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Hannah

Schon immer bin ich gerne lange Strecken gefahren. Habe sogar mal darüber nachgedacht, den LKW-Führerschein zu machen, und finde es noch immer ziemlich lässig, so durch die Lande zu tuckern und alles an mir vorbeiziehen zu lassen: Bäume, Häuser, Gedanken. Ich beneide die Trucker um ihre Aussicht, vielleicht auch um das Alleinsein, aber am meisten um ihre Kojen, in die sie sich verziehen, wenn sie ihre Strecke runtergerissen haben. Ich weiß, ich weiß, ich habe ein falsches Bild vom Fernfahren, so ein verträumtes. Aber ist es nicht so, dass Träume irrational sind und es auch bleiben dürfen?

Als ich jedoch an diesem Tag in meinem guten alten VW-Bus hockte, war alles anders. Die Autostrada del Sole hatte überhaupt nichts Verträumtes und meine Gedanken waren alles andere als frei. Und wenn ich mir etwas hätte wünschen dürfen, dann wäre es gewesen, nirgends ankommen zu müssen. Schon gar nicht in Castelnuovo, wo Eli vor drei Wochen gestorben war. Mein Kopf schien nur zwei Themen zur Auswahl zu haben: dass Eli tot war und meine Beziehung zu Martin auch.

Der Anruf war in dem Moment gekommen, als Martin mir eröffnet hatte, dass die Susi krank geworden sei. Das Handy hatte hartnäckig gebimmelt und ich hatte es wie ferngesteuert aus meiner Tasche gewühlt, um diesem verdammten Lloyd Cole und seinem That boy das Maul zu stopfen, wobei Martin schon wieder seinen genervten Gesichtsausdruck bekommen hatte. So guckte er auch immer, wenn ich ihn auf seine Scheidung ansprach. Das Bimmeln verstummte.

»Was soll denn das heißen?«, fragte ich.

»Ich kann jetzt nicht weg hier.«

»Aber unser Urlaub ist gebucht.«

»Jemand muss die Kinder ins Ferienlager fahren. Das musst du doch verstehen.«

Das Handy unternahm einen zweiten Versuch. Mechanisch drückte ich die Taste und hörte eine Frau »Pronto!« rufen. Ein Anruf aus Italien. Mein Blick klebte an Martins Gesicht, der genervter aussah denn je. Zerstreut fragte ich auf Italienisch nach, wer denn da überhaupt sprach.

»Hier ist Roberta Rossi aus Castelnuovo. Ich bin eine gute Bekannte Ihrer Tante ...«

Plötzlich pochte es in meinem Schädel und ich umkrampfte das Telefon fester. Im Augenwinkel sah ich, dass Martin eine ungeduldige Bewegung machte. Er konnte es nicht ausstehen, wenn ich bei unseren Treffen vergaß, das Handy auszuschalten.

»Ich ...«, hörte ich da die Frau sagen. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tante ... dass Eli ...«

»Was ist mit ihr?«, rief ich und hörte selbst, wie schrill meine Stimme klang. »Hatte sie einen Unfall?« Sofort dachte ich an Elis rasanten Fahrstil. Ich hatte sie immer wieder beschworen, langsamer zu fahren. Vorsichtig und vorausschauend, so wie andere Sechzigjährige. Doch noch während ich vor meinem inneren Auge Eli am Steuer ihres blauen PT Cruiser Cabriolets sitzen sah, hörte ich die fremde Stimme sagen:

»Nein ... nein ... Kein Unfall. So wie es aussieht, hatte Eli wohl einen Gehirnschlag. Es tut mir so leid. Meine Mutter, Assunta, hat sie heute Morgen tot in ihrem Haus gefunden.«

Ich ließ das Handy sinken. Löste meinen Blick von Martins Gesicht, starrte durch die Frontscheibe auf die Schrottautos, die hinter dem Zaun, auf dem Gelände von Hottes Abwrackunternehmen, zu einem gigantischen Turm gestapelt waren.

Eli war tot.

Und ich saß hier, auf diesem Parkplatz, neben einem Mann, der nicht meiner war. Und es nie sein würde. Aus weiter Ferne hörte ich die Stimme aus dem Handy in meinem Schoß. Und dann drehte ich mich langsam zu Martin und sagte: »Das war´s mit uns. Bestell der Susi einen schönen Gruß.«

Drei Wochen waren seitdem vergangen, und als mich das Navi jetzt in Città di Castello von der Autobahn lotste, kurbelte ich die Fenster herunter und atmete die unglaubliche Süße dieses italienischen Sommerabends ein. Die Sonne verschwand hinter den umbrischen Hügeln und meine Kehle wurde so eng, dass es wehtat. Eli war tot. Ich hatte sie nach Hause bringen lassen und in Mosisgreuth beerdigt, zwei Gräber neben meinen Eltern. Nie wieder würde ich ihr raues Lachen hören. Nie wieder würde sie mich in den Arm nehmen und »mein Mädle« zu mir sagen.

Es dämmerte, als ich die Nebenstraßen entlangkurvte, durch kleine Orte, vorüber an vereinzelten Bars, die schon die Neonbeleuchtung eingeschaltet hatten. Ich fühlte mich wie in Watte gepackt vor lauter Müdigkeit und hätte am liebsten angehalten und ein wenig gedöst. Aber das Navi zeigte mir, dass es nur noch ein paar Kilometer bis zu Elis Haus waren. Ich drehte die Musik voll auf, Forest Fire und Charlotte Street, so laut, dass die Töne auf dem Armaturenbrett vibrierten und ich sie unter meinen Fingern spürte.

Ich hatte solche Mühe, die Augen offen zu halten, dass ich das abgerockte Schild mit dem Ortsnamen Castelnuovo erst im letzten Moment entdeckte. Als ich den Blinker setzte und abbog, geschah es. Ich schnitt die Kurve und sah einen von diesen dreirädrigen Transportern auf mich zukommen, auf dessen Ladefläche dürre Stöcke hin- und herschwankten. Er hielt genau auf mich zu. Ich riss das Steuer herum, ein bärtiges Gesicht huschte an mir vorbei und im selben Moment ertönte ein lautes Hupen und Poltern. Ich trat auf die Bremse und kam direkt am Abhang zum Stehen. Reflexartig drehte ich mich um und sah gerade noch, wie der Wagen um die Kurve verschwand.
Elisabeth

Alles begann an einem Montag. Bei der Erinnerung daran muss ich fast laut auflachen: Dass sich mein Leben an einem Waschtag entschied. Und dass ich alles, was geschah, im Grunde Schwester Adalberta zu verdanken habe.

Ich heiße Elisabeth, denn ich kam am 17. November auf die Welt, an dem Tag, als meine Namensvetterin, die Heilige aus Thüringen, starb. Vielleicht sah meine Mutter das als Zeichen, vielleicht hielt sie mich ja auch für so etwas wie eine späte Reinkarnation. Jedenfalls glaubte sie an die Macht des Wortes, so viel ist sicher. Der Name sollte mir ein gottgefälliges Leben bescheren.

In jenem Frühsommer 1965 war ich sechzehn Jahre alt und bis heute weiß ich nicht, ob es ein Segen war oder ein Fluch, dass ich mit elf zu den Nonnen kam. Auf jeden Fall durfte ich bei ihnen lernen, und das war im Grunde das Wichtigste, wenn auch mein eigentlicher Traum das Gymnasium gewesen wäre.

Mein Vater war da ganz anderer Meinung gewesen. »Dir die Birn mit einem Haufen Gruscht füllen!«, war der Standardsatz, wenn die Rede auf das Thema »weiterführende Schule« kam. Für ihn lag meine Zukunft offen da: Ich würde die Volksschule zu Ende machen und so lange auf dem Hof arbeiten, bis sich einer erbarmte und mich zur Frau nahm. Doch dieses eine Mal hatte mich der Himmel gerettet.

Er kam zu uns in Gestalt unseres Pfarrers, an einem Samstagnachmittag. Hochaufgerichtet und mit wehenden Rockschößen kam er auf einem Damenrad angefahren, das bei jedem Herabtreten des Pedals ein schabendes Geräusch von sich gab. Ich weiß noch, wie der Vater die Mistgabel senkte und wie die Mutter aus dem Haus gelaufen kam und sich die Hände an der Schürze trocken wischte.

Gemeinsam sahen wir zu, wie der Pfarrer vom Rad stieg, ein wenig umständlich, und in ernstem, ja hochoffiziellem Ton sagte: »Ich muss mit euch über die Eli schwätzen.«

Später stand ich in der Diele, die Ohren gespitzt, und lauschte auf die Stimme des Pfarrers, die gedämpft durch die Stubentür drang: »Die Eli ist ein kluger Kopf. Und im Hafen gibt es jetzt eine neue Mädchenrealschule, das Sankt Elisabeth. Es wird von den Franziskanerinnen von Sießen geleitet, eine gute Schule ist das.«

Ich hielt den Atem an. Lange Zeit war nichts zu hören als das Ticken der Standuhr in der Diele. Schließlich murrte der Vater etwas Unverständliches und die Mutter fragte zaghaft: »Wie heißt die Schul, Sankt Elisabeth?« Als ein Stuhl über den Boden scharrte, machte ich mich davon, bevor der Vater mich beim Lauschen erwischte.

Meine Mutter war eine nachgiebige Frau, die unter der Tyrannei meines Vaters litt. Aber sie deutete Zeichen. Und das war vielleicht der einzige Bereich in ihrem Leben, in dem sie keine Kompromisse einging. So ließen wir in der Nacht niemals auch nur ein einziges Wäschestück auf dem Hof hängen, aus Angst, die Hex könnt hindurchfahren. Und wenn wir auf dem Weg ins Dorf auf die Schafsherde vom Eder Bauern stießen, so hieß es: »Schafe zur Linken, das Glück wird dir winken.« In jeder Walpurgisnacht streute sie geweihtes Salz auf die Türschwellen vor Haus und Stall, um uns und das Vieh vor Unheil zu schützen. Und so war der Name der Schule das Zeichen für sie.

Es amüsiert mich noch heute, dass mir allein diese Namensgleichheit den Weg zu einer besseren Schulbildung ebnete. Natürlich spielte es auch eine Rolle, dass sich ausgerechnet der Pfarrer für mich einsetzte, denn der Weg zu Gott führte für meine Mutter nun einmal ganz allein über ihn. Jedenfalls gelang es ihr, sich dieses eine Mal gegen meinen Vater durchzusetzen. Und so landete ich bei den Nonnen.

Überhaupt spielte Gott eine große Rolle in meiner Kindheit. Die Beichte, die Samstagabendmesse, die Nonnen. Der heilige Antonius, zu dem wir beteten, wenn etwas verloren gegangen war. Das alles klingt heute - angesichts dessen, wie mein Leben verlief - geradezu bizarr. Noch grotesker war, dass mein Vater Franz hieß, benannt nach dem heiligen Franziskus. Ausgerechnet der Vater, der sein Vieh so schlecht behandelte wie kein anderer Landwirt in unserer Gegend, war nach dem Schutzpatron der Tiere benannt!

Unverständlich ist mir auch, dass es gerade der...
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