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Dreck am Stecken

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.09.2019
Eine Familie, die sich fremd geworden ist. Ein unerwartetes Erbe, das sie wieder zusammenführt. Und jede Menge Dreck am Stecken ...
Opa Heinrich ist tot. Sein Vermächtnis: ein vergilbtes Tagebuch. Johannes und seine Brüder beschließen erst mal, seine Vergangenheit ruhen zu lassen. Doch zur Beerdigung erscheinen lauter Menschen, die sie noch nie gesehen haben, eine alte Dame ist sogar aus Argentinien angereist. Was hatte der Großvater mit diesen Leuten zu schaffen? Aus Neugierde beginnt Johannes, das Tagebuch zu lesen. Danach ist klar: Die vier Brüder müssen ihrer Familiengeschichte auf den Grund gehen. Denn Opa hatte Dreck am Stecken. Und zwar nicht zu knapp ...

Alexandra Fröhlich lebt als Autorin in Hamburg und arbeitet als freie Textchefin für verschiedene Frauenmagazine. Mit ihren Romanen »Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen« und »Gestorben wird immer« stand sie monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEine Familie, die sich fremd geworden ist. Ein unerwartetes Erbe, das sie wieder zusammenführt. Und jede Menge Dreck am Stecken ...
Opa Heinrich ist tot. Sein Vermächtnis: ein vergilbtes Tagebuch. Johannes und seine Brüder beschließen erst mal, seine Vergangenheit ruhen zu lassen. Doch zur Beerdigung erscheinen lauter Menschen, die sie noch nie gesehen haben, eine alte Dame ist sogar aus Argentinien angereist. Was hatte der Großvater mit diesen Leuten zu schaffen? Aus Neugierde beginnt Johannes, das Tagebuch zu lesen. Danach ist klar: Die vier Brüder müssen ihrer Familiengeschichte auf den Grund gehen. Denn Opa hatte Dreck am Stecken. Und zwar nicht zu knapp ...

Alexandra Fröhlich lebt als Autorin in Hamburg und arbeitet als freie Textchefin für verschiedene Frauenmagazine. Mit ihren Romanen »Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen« und »Gestorben wird immer« stand sie monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641217174
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum09.09.2019
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4310239
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

DAMALS

Unsere Mutter rauchte und trank. Beides nicht zu knapp. Und sie war ein lustiger Vogel, wenn sie nicht gerade einen ihrer Schübe hatte. Dann rauchte und trank sie noch mehr und sprach kein Wort, sondern starrte tagelang lieber stumpfsinnig aus dem Fenster. Alles in allem aber war sie ziemlich in Ordnung. Sie war nur anders als andere Mütter.

Sie selbst sagte immer, sie sei eine Schlampe, was sie weniger auf ihre wechselnden Männerbekanntschaften bezog als vielmehr auf ihren fehlenden Ordnungssinn. Wie sollte sie dem Chaos auch Herr werden, so ganz allein mit vier Kindern und einem kränkelnden Vater?

Vier Sommer vor der großen Katastrophe stand Opa auf einmal vor der Tür, mit einem alten Köfferchen in der ledrigen Hand, und zog einfach bei uns ein. Wir Jungs kannten ihn nur von einem eingestaubten Bild, das in Mutters Nachttisch lag. Aufmüpfig blickte er dort in die Kamera, spitzes Kinn, blitzende Augen, ein junger Bursche in Uniform. Mutter hatte nie von ihren Eltern erzählt, wir wussten einzig, dass sie irgendwo in der Ferne weilten, um dort ihr Glück zu suchen. Hakten wir nach, unterband sie unser Begehren stets mit einem knappen: »Die Vergangenheit soll man ruhen lassen.«

Der ältere Herr, der nun in unser Leben trat, hatte mit dem schneidigen Soldaten auf der Fotografie nicht mehr viel gemein. Insgesamt betrachtet, war er in keinem guten Zustand. Humpelnd räumte er seine wenigen Sachen in unsere Schränke, verlangte sofort nach einem Gehstock, besser noch einem Rollstuhl, und nässte nachts ein.

»Heinrich«, brüllte Mutter fortan jeden Morgen, wenn sie die Sauerei entdeckte, »Heinrich, was soll das? Zu faul, um aufs Klo zu gehen? Als ob ich nicht genug Probleme hätte!«

»Opa hat ins Bett gepiescht, Opa hat ins Bett gepiescht«, sangen wir im Chor, und dann flitzten wir, um ihren Schlägen zu entgehen.

»Macht euch nicht über euren Großvater lustig«, ermahnte sie uns, wenn ihr Zorn verraucht war, »der kann nichts dafür. Der hat einiges hinter sich.«

Damit gaben wir uns nicht zufrieden. Was genau er denn hinter sich habe, wollten wir wissen, woher und warum überhaupt er so plötzlich gekommen sei und ob er jetzt etwa ewig bei uns bliebe.

»Das hat euch nicht zu interessieren«, war Mutters Antwort, »es ist eben, wie es ist. Ich erklär´s euch, wenn ihr älter seid.«

Doch für eine Erklärung wurden wir nie alt genug.

Bald gewöhnten wir uns an das neue Familienmitglied, bald war es so, als wäre er immer bei uns gewesen. Opa störte nicht weiter, außer dass er Platz wegnahm. Stundenlang konnte er vor Radio oder Fernseher sitzen und auf die modernen Zeiten schimpfen. Bald wurde er auch ein gern gesehener Gast unten in der Eckkneipe, wo er die anderen Nachbarn mit Tagesfreizeit unterhielt.

Wir hatten im Handumdrehen raus, wie wir ihn auf Hundertachtzig bringen konnten. Wir mussten uns nur scheinheilig erkundigen, was eigentlich mit Oma sei, und er drehte durch. »Dieses verfluchte Luder!«, brüllte er. »Ein Segen, dass ich sie los bin.«

Torpedierten wir ihn weiter mit Fragen, grummelte er böse vor sich hin. Wurde es ihm zu viel, beschwerte er sich bei Mutter über ihre missratene Brut, woraufhin die beiden stets in Streit gerieten, den Opa mit seinem Totschlagargument beendete: »Vier Kinder von vier verschiedenen Vätern. Sodom und Gomorrha! Das wird alles böse enden.«

Die Sache mit den vier Vätern ließ uns Jungs kalt, für uns war Mutter die Sonne, um die wir kreisten. Wie Meteoriten, die vom Himmel fielen und weiter keinen Schaden anrichteten, schlugen unsere Erzeuger ab und an bei uns ein. Sie gingen mit uns in den Zoo, ins Kino oder sonst wohin, je nachdem, was ihren eigenen Vorlieben und ihren eher vagen Vorstellungen davon, was Kinder lieben, am ehesten entsprach.

Philipps Vater nervte, ein vergeistigter Oberstudienrat, der in einer schwachen Stunde Mutters nicht unerheblichem Charme erlegen war. Beseelt von einem diffusen Bildungsauftrag, schleppte er uns vier - artig Mutters Vorgabe »Alle oder keiner« folgend - ungezählte Male ins Museum für Hamburgische Geschichte. Da standen wir dann vor Störtebekers Schädel und ertrugen nasebohrend seine einfallslosen Piratengeschichten.

Mein Vater war nicht viel besser. Ein einsilbiger Trucker, den Mutter in den sechziger Jahren kennengelernt hatte, als sie zu einem Hippie-Festival nach Frankreich trampte. Er war grobschlächtig, ungehobelt und roch nicht besonders gut. Bis heute habe ich keine Ahnung, was Mutter, die so hübsch und so klug war, damals in ihm sah. Bei seinen sporadischen Stippvisiten brachte er mir amerikanische Country-Platten mit, eine Musik, die ich schon als Kleinkind ablehnte. Außerdem stand er Mutters Bestreben, dass aus uns Jungs etwas Besseres werden sollte, skeptisch gegenüber. Als ich von der Grundschule aufs Gymnasium wechselte, verschwand er für ein gutes halbes Jahr, so sauer war er.

Jakobs Vater ließ uns in Ruhe. Er saß im Vorstand eines Hamburger Pharmakonzerns, wohnte mit Frau und Töchtern in Wellingsbüttel und hielt sich Mutter eine Zeit lang als Geliebte. Als sie schwanger wurde, tauchte er panisch ab. Doch er war der Einzige, der regelmäßig und reichlich für seinen Sohn zahlte.

Am Amüsantesten war Simons Papa, ein kohlschwarzer Brite, den es als mittellosen Musiker in den Siebzigern nach Deutschland verschlagen hatte, außer den wilden schwarzen Locken hatte er seinem einzigen Nachkommen nichts zu vererben. Er zog mit uns durch verräucherte Jazz-Kneipen, in denen der Tag zur Nacht wurde. Stundenlang umfing uns sein trauriges Saxofon-Gejaule, und wir nuckelten zufrieden an unserer Cola, die zu Hause verboten war.

Mutter war um Strenge bemüht, ihre Erziehungsmethoden konnte man durchaus robust nennen. Wenn wir nicht spurten, verteilte sie Hiebe auf den Hinterkopf. Dabei war es ihr egal, ob sie den Richtigen traf. Meistens steckten wir alle ein, wenn sie in Rage war.

Wir waren berüchtigt im ganzen Viertel. Und das wollte in der Hochhaussiedlung am Osdorfer Born, deren Bewohner Kummer gewohnt waren, etwas heißen. Wir waren eine Gang, lange bevor man dieses Wort überhaupt kannte. Schlenderten wir zu viert, möglichst breitbeinig, über den Bürgersteig, wechselten unsere Nachbarn die Straßenseite. Wir trugen die Haare lang und verfilzt, unsere Jeans waren trotz Mutters ständiger Flickversuche löchrig, über unseren schmalen Schultern hingen schwere schwarze Lederjacken, die uns mit der Aura der Unbesiegbaren umgaben. Letztere waren eines der seltenen Geschenke von Simons Vater. Als er sie stolz überreichte, raunte er verschwörerisch, sie seien »vom Laster gefallen«. Eine Tatsache, die ihren Besitz für uns umso wertvoller machte.

Mit wiegenden Schritten durchmaßen wir nach der Schule den Born, auf der Suche nach ein wenig Ärger, der uns stets fand. Simon, der Kleinste, immer vorneweg, großspurig zog er alle paar Minuten seine Nase hoch und spie den Schnodder auf den Gehweg, er litt zu seinem Glück an einer chronischen Sinusitis, sodass ihm immer genügend Munition zur Verfügung stand. Philipp, der Zweitjüngste, dann Jakob und ich, der Älteste, dicht hinter ihm, geschickt den Rotzfladen ausweichend. Es gelang uns nicht immer.

Aus der Ferne muteten wir wahrscheinlich an wie die sprichwörtlichen Orgelpfeifen. Mutter hatte es irgendwie geschafft, uns in ziemlich exakten Zweijahresabständen auf diese Welt zu werfen. Und dann hatte sie uns diese merkwürdigen Namen gegeben. Zu unserer Zeit hießen Jungs Thomas, Bernd, Andreas oder Jürgen. Aber Johannes, Jakob, Philipp und Simon?

Wir wussten, dass sie uns nach den Aposteln benannt hatte. Das machte uns eine Zeit lang Angst. Mutter war zwar belesen, aber bei Gott nicht das, was man fromm nannte. Eine Kirche hatte keiner von uns je von innen gesehen. Was sollte dieser Apostel-Scheiß? Wir waren nur vier. Sollten etwa noch acht weitere folgen?

Mutter war alles zuzutrauen. Zumal wir in regelmäßigen Abständen ihre neuen »Bekannten« kennenlernten. Männer, die sie abends abholten und kurz den Kopf ins Wohnzimmer schoben, um verkrampft ein »Schönen guten Abend allerseits« oder ein »Na, Jungs, alles okey dokey?« loszuwerden. Wir schwiegen sie an und starrten in fragende Gesichter, die wir uns gar nicht erst einprägten.

Opa, als er schließlich bei uns wohnte, versuchte dagegen, die wechselnden Herren in ein Gespräch zu verwickeln, das jedes Mal mit der Frage »Was machen Sie denn beruflich?« begann und mit »Haben Sie eigentlich gedient?« endete. Die Typen verschwanden schneller als gewöhnlich aus unserem Leben. So gesehen war Großvater ein echter Zugewinn für uns.

Mir als Ältestem fiel die lästige Aufgabe zu, mich nach seinem überraschenden Einzug um ihn zu kümmern. Kümmern bedeutete, dass ich jeden Tag großkotzig zum Kiosk schlawinerte und fünf Halbe und zwei HB orderte. Ohne seine Zigaretten war Opa ungenießbar, ohne sein Bier wollte er nicht einschlafen. Die allabendlich genossenen zweieinhalb Liter Flüssigkeit machten die Sache mit der Inkontinenz nicht besser. Also zwang mich Mutter, Windeln zu besorgen. Die Apotheken im Viertel mied ich, lieber setzte ich mich einmal in der Woche in den Bus und fuhr ganz raus bis nach Wedel. Mir war es gleich, dass die Leute über uns redeten. Nicht egal war, was sie sagten. Ich wollte nicht, dass wir als eine Familie der Bettnässer in die Annalen des Born eingingen.

Meine Ausflüge, die anfangs einzig dem Zweck dienten, den Ruf der Meinen zu wahren, verselbstständigten sich, als ich Sabine kennenlernte. Sie arbeitete als Verkäuferin in dem Lebensmittelgeschäft neben der Wedeler Apotheke, trug ihr blondes Haar wie...

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