Hugendubel.info - Die Online-Buchhandlung für Geschäftskund:innen

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Offene Fragen

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
176 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am28.03.2022
Die Grande Dame der amerikanischen Essayistik empfiehlt: Lasst Bücher in euer Leben - und lest sie immer wieder!
Für die preisgekrönte Journalistin Vivian Gornick sind Bücher Lebensbegleiter. In neun Essays, die sich zwischen scharfsinniger Literaturkritik und persönlichen Erinnerungen bewegen, denkt sie über die Bedeutung des Lesens - und Wieder-Lesens - nach. Warum sprechen Bücher in verschiedenen Lebensphasen so unterschiedlich zu uns? Und was verraten diese Leseerfahrungen über uns? Gornick schreibt über die Erinnerung in Marguerite Duras' »Der Liebhaber«, entdeckt die psychologische Raffinesse von Elizabeth Bowens Prosa oder erzählt, wie Natalia Ginzburg sie immer wieder dazu bringt, »das Leben mehr zu lieben«.
Erhellende, sehr persönlicher Texte über die Lebendigkeit von Büchern im Spiegel der eigenen Lebenserfahrungen von einer der brillantesten Denkerinnen unserer Zeit. Nominiert für den PEN Award.
»Wundervoll!« The Paris Review

Vivian Gornick, 1935 als Tochter einfacher jüdischer Einwanderer in der Bronx geboren, ist Autorin, Journalistin, Literaturkritikerin und bekennende Feministin. Sie begann ihre Karriere bei der New Yorker Wochenzeitung »The Village Voice« und schreibt seither für zahlreiche renommierte Medien, darunter »The New York Times« und »Atlantic Monthly«. Gornick veröffentlichte bisher elf Sachbücher mit oft autobiografischem Hintergrund. »Ich und meine Mutter«, 2019 erstmals auf Deutsch erschienen, wurde 2019 von der »New York Times« zum besten Memoir der vergangenen fünfzig Jahre gewählt. »Eine Frau in New York«, wurde für den National Book Critics Circle Award nominiert und für »Offene Fragen« erhielt sie den Windham Campbell Prize für Literatur und wurde für den PEN Award nominiert.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDie Grande Dame der amerikanischen Essayistik empfiehlt: Lasst Bücher in euer Leben - und lest sie immer wieder!
Für die preisgekrönte Journalistin Vivian Gornick sind Bücher Lebensbegleiter. In neun Essays, die sich zwischen scharfsinniger Literaturkritik und persönlichen Erinnerungen bewegen, denkt sie über die Bedeutung des Lesens - und Wieder-Lesens - nach. Warum sprechen Bücher in verschiedenen Lebensphasen so unterschiedlich zu uns? Und was verraten diese Leseerfahrungen über uns? Gornick schreibt über die Erinnerung in Marguerite Duras' »Der Liebhaber«, entdeckt die psychologische Raffinesse von Elizabeth Bowens Prosa oder erzählt, wie Natalia Ginzburg sie immer wieder dazu bringt, »das Leben mehr zu lieben«.
Erhellende, sehr persönlicher Texte über die Lebendigkeit von Büchern im Spiegel der eigenen Lebenserfahrungen von einer der brillantesten Denkerinnen unserer Zeit. Nominiert für den PEN Award.
»Wundervoll!« The Paris Review

Vivian Gornick, 1935 als Tochter einfacher jüdischer Einwanderer in der Bronx geboren, ist Autorin, Journalistin, Literaturkritikerin und bekennende Feministin. Sie begann ihre Karriere bei der New Yorker Wochenzeitung »The Village Voice« und schreibt seither für zahlreiche renommierte Medien, darunter »The New York Times« und »Atlantic Monthly«. Gornick veröffentlichte bisher elf Sachbücher mit oft autobiografischem Hintergrund. »Ich und meine Mutter«, 2019 erstmals auf Deutsch erschienen, wurde 2019 von der »New York Times« zum besten Memoir der vergangenen fünfzig Jahre gewählt. »Eine Frau in New York«, wurde für den National Book Critics Circle Award nominiert und für »Offene Fragen« erhielt sie den Windham Campbell Prize für Literatur und wurde für den PEN Award nominiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641266967
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum28.03.2022
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8381129
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Einleitung

Wenn ich heute ein Buch, das mir früher in meinem Leben einmal wichtig war, erneut lese, habe ich oft das Gefühl, auf der Couch eines Analytikers zu liegen. Das Narrativ, das ich jahrelang sozusagen auswendig konnte, wird plötzlich auf beunruhigende Weise infrage gestellt. Es scheint, als hätte ich vieles von diesem oder jenem Protagonisten oder Handlungsablauf falsch in Erinnerung behalten: Sie lernten sich in New York kennen, dabei war ich mir sicher, es war in Rom; sie begegneten sich 1870, ich dachte, es sei 1900 gewesen; und was hat die Mutter dem Protagonisten angetan? Trotzdem rückt beim Lesen des Buches die Außenwelt nach wie vor in den Hintergrund, und ich kann nicht umhin, mich zu fragen: Wenn ich dies und das und auch das da falsch verstanden habe, wie kann es dann sein, dass mich das Buch noch immer dermaßen fesselt?

Wie die meisten Buchliebhaber denke ich manchmal, ich sei lesend auf die Welt gekommen. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich kein Buch in der Hand hatte und für meine Umgebung ansprechbar war. In den Ferien mit Familie oder Freunden kann ich mich ohne Weiteres mit einem Buch auf die Wohnzimmercouch eines schönen Landhauses legen und die wunderbare grüne Landschaft, deretwegen wir alle gekommen sind, einfach ignorieren. Einmal, als ich mit dem Zug durch die peruanischen Anden fuhr, konnte ich den Blick nicht von der Frau in Weiß lösen, während alle anderen begeistert und staunend aus dem Fenster sahen. Ein anderes Mal saß ich mit Diane Johnsons Lesser Lives (einer imaginären Biografie von George Merediths erster Frau) auf dem Schoß in der gleißenden Sonne eines Karibikstrands und wunderte mich beim Aufblicken, nicht vom kalten englischen Nebel der 1840er Jahre umgeben zu sein. Was für herrliche Begleiter diese Bücher waren! Alle Bücher. Es gibt nichts Vergleichbares. Es ist die Sehnsucht nach der im Buch enthaltenen Stimmigkeit - diesem seltsamen Versuch, das Unausgereifte in Worte zu fassen -, es erzeugt Frieden und Erregung, Geborgenheit und Trost. Vor allem aber ist es die schiere Erlösung von dem Chaos im eigenen Kopf, die das Lesen mit sich bringt. Manchmal habe ich das Gefühl, allein das schenkt mir Lebensmut, und zwar seit frühester Kindheit.

Wir wohnten in einem proletarischen Einwandererviertel in der Bronx, wo die zahlreichen Geschäfte in der einzigen Einkaufsstraße sämtliche Bedürfnisse befriedigten. Metzger, Bäcker, Lebensmittelhändler, Bank, Apotheke, Schuster: eine einzige lange Ladenfront. Eines Tages, als ich noch recht klein war, sieben oder acht, nahm mich meine Mutter an der Hand mit in ein Geschäft, das mir noch nie aufgefallen war: eine Zweigstelle der New Yorker Leihbibliothek. Es handelte sich um einen langen Raum mit nackten Holzdielen, dessen Wände vom Boden bis zur Decke mit Bücherregalen bedeckt waren. In der Mitte des Raums stand ein Tisch, an dem Eleanor Roosevelt saß (damals sahen alle Bibliothekarinnen so aus wie Eleanor Roosevelt): Eine große, vollbusige Frau, die ihr dichtes graues Haar im Belle-Époque-Stil auf dem Kopf aufgetürmt hatte, mit einer randlosen Brille auf der unglaublich geraden Nase und einem Ausdruck ruhigen Interesses in den Augen. Meine Mutter trat an den Tisch, deutete auf mich und erklärte Eleanor Roosevelt: »Sie liest gern.« Die Bibliothekarin stand auf, sagte »Komm mal mit« und ging mit mir zurück in den vorderen Teil des Raums, wo die Kinderbuchabteilung war. »Fang hier an«, sagte sie, und das tat ich. Von diesem Augenblick an las ich mich bis zum Ende der High School durch den ganzen Raum hindurch. Fragt man mich heute, was ich damals alles aus der Leihbibliothek mitnahm, erinnere ich mich nur, dass ich mich von Grimms Märchen über Little Women bis Von Zeit und Fluss vorkämpfte. Dann kam ich ins College und entdeckte, dass ich die ganze Zeit Literatur gelesen hatte. Ich glaube, in diesem Moment fing ich an, Bücher wiederzulesen, denn seitdem kehrte ich immer wieder zu den Werken zurück, die meine Vertrauten geworden waren, nicht nur wegen der mitreißenden Freude an der Geschichte an sich, sondern auch um zu verstehen, was ich durchlebte und was ich daraus lernen konnte.

Ich wuchs in einem diskussionsfreudigen linken Haushalt auf, in dem Karl Marx und die internationale Arbeiterklasse Glaubensgrundsätze bildeten: Sensible Antennen für soziale Ungerechtigkeit waren eine Selbstverständlichkeit.

Daher waren von Anfang an fast alle konkreten Erfahrungen von einem politischen Bewusstsein gefärbt, Lesen natürlich eingeschlossen. Ich las immer und ausschließlich, um die Macht des Lebens zu spüren. Diese manifestierte sich (auf erregende Art) im Umgang des Protagonisten mit jenen äußeren Kräften, die sich seiner oder ihrer Kontrolle entzogen. So berührten mich die Werke von Dickens, Dreiser und Hardy gleichermaßen intensiv, aber auch die von Mike Gold, John Dos Passos und Agnes Smedly. Als ich vor einigen Jahren auf einen Aufsatz von Delmore Schwartz stieß, in dem dieser sich über Edmund Wilsons schockierenden Mangel an Interesse für die literarische Form wundert, musste ich lachen. Für Schwartz ist Form für die Bedeutung eines literarischen Werkes wesentlich, für Wilson jedoch kam es nicht darauf an, wie die Bücher geschrieben waren, sondern wovon sie handelten und wie sie die Kultur in ihrer Gesamtheit beeinflussten. Er stellte ein Buch immer in einen sozialen und politischen Kontext, das war typisch für ihn. Diese Perspektive erlaubte es ihm, einen Gedankengang zu verfolgen, bei dem er Proust und Dorothy Parker im selben Satz erwähnen oder Max Eastman im Vergleich über André Gide stellen konnte. Für Schwartz war das eine echte Qual. Für mich war es unbeschreiblich lohnend. Und so erschien es mir ganz natürlich, dass die Art, wie ich las, auch die Art sein würde, in der ich zu schreiben begann.

Ende der sechziger Jahre besuchte ich ein »Speak-out« im Vanguard, einem berühmten Jazz Club in Greenwich Village. Der Abend wurde unter dem Titel »Kunst und Politik« angekündigt, und auf dem Podium saßen der Dramatiker LeRoi Jones (später Amiri Baraka), der Saxofonist Archie Shepp und der Maler Larry Rivers. Das Publikum umfasste sämtliche Linke der weißen Mittelschicht von New York. Sehr schnell wurde klar, dass die Kunst gegen die Politik keine Chance hatte. Jones dominierte das Ereignis, indem er gleich zu Beginn erklärte, dass nicht nur die Bürgerrechtsbewegung die sogenannte weiße Intervention satt habe, sondern auf den Plätzen des Theaters der Revolution bald Blut fließen werde, und wer auf diesen Plätzen sitze, das wisse man ja. Der Saal explodierte, alle johlten und schrien irgendwelche Versionen von »Unfair!« durcheinander, doch eine Stimme erhob sich über alle anderen. »Ich habe meinen Beitrag geleistet, LeRoi«, schrie sie. »Du weißt, dass ich meinen Beitrag geleistet habe!« Jones ließ sich von dem Tumult weder beeindrucken noch einschüchtern und erklärte, dass wir »ofays«* alles vermurkst hätten, und wenn sie, die Schwarzen, an die Macht kämen, wollten sie alles anders machen: Sie würden die Welt, wie wir sie kannten, zerstören und noch einmal ganz von vorn anfangen. Ich weiß noch, wie ich dachte: Er will nicht die Welt, wie sie ist, zerstören, er will seinen rechtmäßigen Platz darin einnehmen, wie es sich gehört, nur ist sein Kopf im Augenblick so voller Blut, dass er es gar nicht weiß.

Das wollte ich unbedingt in die Welt hinausschreien, so wie all die anderen das hinausschrien, was sie jeweils am meisten verletzte, doch er machte mir Angst (man kann sich Barakas mächtige öffentliche Ausstrahlung in jener tragischen Zeit kaum vorstellen), deshalb hielt ich den Mund und ging nach Hause; da ich jedoch einen starken Drang verspürte, den ich mir nicht recht erklären konnte, blieb ich die halbe Nacht wach und hielt das ganze Ereignis aus der Perspektive meiner eigenen großartigen Erkenntnisse fest. Beim Schreiben entdeckte ich dann das, was mein natürlicher Stil werden sollte. Aus der Perspektive der teilnehmenden Erzählerin heraus baute ich die Geschichte instinktiv so auf, als wäre es Fiktion (»Neulich Abend im Vanguard â¦«), damit die Leser sie durch meine Augen sahen, das Ereignis so erlebten, wie ich es erlebt hatte, es genauso instinktiv spürten, wie ich es gespürt hatte (»Ich habe meinen Beitrag geleistet, LeRoi. Du weißt, dass ich meinen Beitrag geleistet habe!«), und am Ende nicht von der Brisanz von Kunst und Politik, sondern vom Leben und der Politik bewegt und belehrt nach Hause gehen würden. Obwohl ich mir damals dessen nicht bewusst war, hatte ich begonnen, subjektiven Journalismus zu schreiben.

Am Morgen steckte ich das, was ich in der Nacht geschrieben hatte, in einen Briefumschlag, ging zum Briefkasten an der Ecke und schickte es an The Village Voice. Ein paar Tage später klingelte mein Telefon. Ich nahm ab, »Hallo«, und hörte die Stimme eines Mannes. »Ich bin Dan Wolf, Herausgeber der Voice, und wer zum Teufel sind Sie?« Noch ehe ich nachdenken konnte, rutschte es mir heraus: »Keine Ahnung, sagen Sie es mir.« Wolf lachte und forderte mich auf, ihm mehr von meiner Arbeit zu zeigen. Ein Jahr später schickte ich ihm einen neuen Text. Und ich glaube, bis zum dritten Mal verging noch fast ein weiteres Jahr.

Ich hatte es ernst gemeint, als ich sagte, ich hätte keine Ahnung, wer ich sei. Zwar konnte ich jederzeit ohne Punkt und Komma reden, sodass mein Gegenüber gelegentlich sagte: »Das solltest du aufschreiben«, wurde aber fast immer, wenn es darauf ankam, von lähmenden Selbstzweifeln befallen. Nur selten erlaubte mir...

mehr

Autor

Vivian Gornick, 1935 als Tochter einfacher jüdischer Einwanderer in der Bronx geboren, ist Autorin, Journalistin, Literaturkritikerin und bekennende Feministin. Sie begann ihre Karriere bei der New Yorker Wochenzeitung »The Village Voice« und schreibt seither für zahlreiche renommierte Medien, darunter »The New York Times« und »Atlantic Monthly«. Gornick veröffentlichte bisher elf Sachbücher mit oft autobiografischem Hintergrund. »Ich und meine Mutter«, 2019 erstmals auf Deutsch erschienen, wurde 2019 von der »New York Times« zum besten Memoir der vergangenen fünfzig Jahre gewählt. »Eine Frau in New York«, wurde für den National Book Critics Circle Award nominiert und für »Offene Fragen« erhielt sie den Windham Campbell Prize für Literatur und wurde für den PEN Award nominiert.