Hugendubel.info - Die Online-Buchhandlung für Geschäftskund:innen

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Verfahren

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
180 Seiten
Deutsch
Haymon Verlagerschienen am05.11.20121. Auflage
Jelena, eine Kosovo-Serbin, wird in ihrer Heimat wiederholt Opfer unvorstellbarer Gewalt. Die geht nicht vom Staat aus, sondern von enthemmten Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung. Schwer traumatisiert, hofft die junge Frau nach zwei Selbstmordversuchen auf einen Neuanfang in Österreich. Dort aber gerät sie in die Mühlen eines unmenschlichen Asylrechts, das seinem Namen nicht gerecht wird. Seit langem prägt das Thema Asyl die öffentlichen Debatten und sorgt nach jedem von den Medien aufgegriffenen Einzelfall für heftige Kontroversen. Ludwig Laher überträgt diese brandaktuelle Thematik auf eine literarische Ebene. Er erzählt die exakt recherchierte Geschichte Jelenas als roten Faden eines aufwühlenden Romans, in dessen Mittelpunkt das Justizwesen selbst steht, die Welt der Paragraphen und ihrer Anwendung, ein Spiegelbild unserer Verfassung im doppelten Wortsinn: vielschichtig, mitreißend diskret, erhellend und weit davon entfernt, komplexen Fragestellungen mit einfachen Antworten beikommen zu wollen.

Ludwig Laher, geboren 1955 in Linz, studierte Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie in Salzburg, lebt in St. Pantaleon (Oberösterreich). Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher und Übersetzungen, daneben wissenschaftliche Arbeiten. Bei Haymon zuletzt: Herzfleischentartung. Roman (2001, HAYMONtb 2009), Aufgeklappt. Roman (2003), Folgen. Roman (2005), Und nehmen was kommt. Roman (2007) und Einleben. Roman (2009).
mehr

Produkt

KlappentextJelena, eine Kosovo-Serbin, wird in ihrer Heimat wiederholt Opfer unvorstellbarer Gewalt. Die geht nicht vom Staat aus, sondern von enthemmten Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung. Schwer traumatisiert, hofft die junge Frau nach zwei Selbstmordversuchen auf einen Neuanfang in Österreich. Dort aber gerät sie in die Mühlen eines unmenschlichen Asylrechts, das seinem Namen nicht gerecht wird. Seit langem prägt das Thema Asyl die öffentlichen Debatten und sorgt nach jedem von den Medien aufgegriffenen Einzelfall für heftige Kontroversen. Ludwig Laher überträgt diese brandaktuelle Thematik auf eine literarische Ebene. Er erzählt die exakt recherchierte Geschichte Jelenas als roten Faden eines aufwühlenden Romans, in dessen Mittelpunkt das Justizwesen selbst steht, die Welt der Paragraphen und ihrer Anwendung, ein Spiegelbild unserer Verfassung im doppelten Wortsinn: vielschichtig, mitreißend diskret, erhellend und weit davon entfernt, komplexen Fragestellungen mit einfachen Antworten beikommen zu wollen.

Ludwig Laher, geboren 1955 in Linz, studierte Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie in Salzburg, lebt in St. Pantaleon (Oberösterreich). Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher und Übersetzungen, daneben wissenschaftliche Arbeiten. Bei Haymon zuletzt: Herzfleischentartung. Roman (2001, HAYMONtb 2009), Aufgeklappt. Roman (2003), Folgen. Roman (2005), Und nehmen was kommt. Roman (2007) und Einleben. Roman (2009).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783709974537
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum05.11.2012
Auflage1. Auflage
Seiten180 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1553 Kbytes
Artikel-Nr.3045203
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Fremdenwesen

Es ist zehn nach zwei. Die Schreibkraft schaut beim Portier vorbei, erkundigt sich, ob er ihre Richter schon gesehen hat. Für zwei ist nämlich die Nachmittagsverhandlung angesetzt. Bei ihm sind sie jedenfalls noch nicht vorbeigekommen. Da aber alle hier durch müssen, die den Gerichtshof betreten wollen, dürften sie wohl die Mittagspause etwas ausgedehnt haben, sagt sie sich, denn Eile scheint keine geboten, weil der beschwerdeführende Asylwerber ohnehin nicht da sein wird.

Die Richter sind ihre, weil die Schreibkraft fix einem bestimmten Zweiersenat zugeteilt ist, der stets gemeinsam verhandelt, einmal unter dem Vorsitz des einen, dann wieder unter dem des anderen. In der Regel finden die beiden zu einem gemeinsamen Urteil, so gut wie immer, könnte man sogar sagen. Zwanzigtausend zu eins steht die Quote, auf zwanzigtausend Entscheidungen kommt eine einzige, auf die sich das Tandem nicht einigen kann. Nicht die zwei allein natürlich, die da draußen gerade aufgeräumt den Portier mit dem stets freundlichen Naturell grüßen, sondern alle paar Dutzend Zweiersenate zusammen. Ihre Richter, könnte die Schreibkraft bestätigen, sind sich bisher immer einig gewesen, zumindest nach eingehender Beratung.

Wer die Sicherheitsschleuse passiert hat, tritt in eine Art Aufenthalts- oder Warteraum mit zu vielen zu großen braunen Tischen und vielen blauen Stühlen und einer Ecke mit Kinderspielzeug. Direkt vor die Füße eines der beiden Richter auf ihrem gemächlichen Weg in den Verhandlungssaal fährt ein knallrotes Sportauto. Ein blondgelockter Dreijähriger traut sich nicht recht, hinzulaufen und es sich zurückzuholen. Er steckt die halbe rechte Hand in den Mund und starrt den großgewachsenen Mann im dunklen Anzug an, der sich jetzt bückt, ihm zulächelt, das Auto umdreht und mit Schwung zu dem Kleinen zurückschickt. Der freut sich sichtlich über den unerwarteten Spielkameraden, greift sich das schmucke Cabrio und nimmt gleich einen neuen Anlauf. Doch da geht eine junge Frau dazwischen, trotz der pechschwarzen Haare unter dem Kopftuch wohl die Mutter. Sie flüstert ihm mit Nachdruck etwas ins Ohr, packt ihn fest am Arm und läßt sich das Auto aushändigen. Entschuldigung! sagt sie ernst, und der Richter, der zu seinem Kollegen gerade Entzückend! gesagt hat, sagt jetzt: Nein, nein.

Die Art Aufenthalts- oder Warteraum ist eigentlich eine Art Verteilerzentrum, eine relativ kleine, von kaltem Kunstlicht erhellte Vorhalle mit niedriger Decke, von der aus man in die Verhandlungssäle gelangen kann, zu den Büros, den Stiegenhäusern, zum Lift, zur Garage, zu den Getränkeautomaten, den Toiletten. Oben in einer der Ecken hängt eine Art runder Verkehrsspiegel. Nicht für diesen Zweck gebaut, wurde das Gebäude kostengünstig adaptiert, und das sieht man ihm auch an.

Mißtrauische oder womöglich gar ängstliche Vorgeladene mit einschlägiger Vergangenheit könnten sich, kaum glücklich dem Sicherheits-Check entronnen, vielleicht am Blickfang des Raumes, einer großflächigen Milchglasscheibe mitten in der Wand hinter den vielen Tischen stoßen. Auf ihrer anderen Seite befindet sich jedoch nur der ansonsten fensterlose, düstere KGB-Verhandlungssaal. So heißt er jedenfalls im Hausjargon, weil die Richter sich in ihm Beschwerdeführern widmen müssen, die direkt vor ebendieser dominanten Milchglasscheibe Platz genommen haben, hinter der sich aber, wie gesagt, bloß die Art Aufenthaltsraum befindet, in dem die menschlichen Verhandlungsgegenstände warten, bis es so weit ist. Der KGB-Saal ist unbeliebt und dient nur als letzte Reserve, wenn alle anderen ausgebucht sind.

Die Errichtung des Asylgerichtshofes hat wegen des vielzitierten Rucksacks vorübergehend jede Menge Verhandlungssäle nötig gemacht, auch wenn ein Gutteil der Richter die Verfahren gewöhnlich ohne lästiges Verhandeln abschließt. In diesem Rucksack mußten anfangs weit über dreiundzwanzigtausend Altfälle Platz finden, die nun relativ zügig abgebaut werden, Stück für Stück, Saal für Saal.

Säle im Wortsinn sind es übrigens gar nicht, sondern vielmehr verhältnismäßig kleine Zimmer, man stelle sich leidlich geräumige Büros vor. Mehr als ein paar Zuhörer finden kaum Platz darin, aber mehr als ein paar Zuhörer sind auch ausgesprochen selten. Der Bundespräsident hat den Bundesadler mit seinen gesprengten Ketten im Blick und umgekehrt. Weiterer Wandschmuck ist überflüssig und fehlt demgemäß. Manche Verhandlungssäle sind licht und freundlich, andere weniger. Die gesamte Einrichtung ist zweckmäßig, praktisch neuwertig, denn dieser Gerichtshof waltet erst seit kurzem, als das Fremdenwesen selbst wieder einmal neu geregelt wurde.

Erhöht sitzt das Justizpersonal, Richter und Schreibkraft. Von dort läßt es sich trefflich auf die Beschwerdeführer oder die Zeugen hinunterschauen, deren Körpersprache letztlich zur Entscheidungsfindung beitragen kann. Ob die Mundwinkel zucken, ob sich die Finger ineinander verkrallen, die Beine lässig übereinandergeschlagen sind, alles kann etwas bedeuten. Den Beschwerdeführern hingegen ist samt allfälligem Rechtsbeistand nicht nur eine Totalansicht ihrer Gegenüber verwehrt, auch deren Hände bleiben ihnen verborgen, Reziprozität ist nicht vorgesehen, sie müssen sich mit einem Brustbild begnügen. Der abweisende Frontwall vor dem Richtertisch ist zu diesem Zweck über die Höhe der Schreibflächen gezogen, sodaß sich der nicht verhandlungsführende Richter des Zweiersenates also bequem zum Kreuzworträtseln oder in die bunte Welt seines Smartphones zurückziehen könnte, ohne daß dies auffallen müßte, wenn er es halbwegs geschickt anstellt.

An eine solche Örtlichkeit sind Schreibkraft und Richter jetzt entspannt unterwegs. Ihnen schließt sich der überpünktlich erschienene Anwalt des Abwesenden an. Ein-, zweimal muß die kleine Karawane kurz stehenbleiben, es gilt Zwischentüren auf- und nach dem Passieren zuverlässig wieder abzusperren, Sicherheitsvorkehrungen.

Noch hat sich zum Glück nichts wirklich Bedrohliches ereignet im Haus. Gut, einmal hat sich ein heftig erregter, mutmaßlich verzweifelter, vielleicht auch nur heißblütiger Beschwerdeführer nach dem negativen Ausgang seines Verfahrens lautstark geweigert, den Raum zu verlassen. Das war aber auch schon alles. Er werde an Ort und Stelle in einen unbefristeten Hungerstreik treten, kündigte er markig an. Die herbeigerufenen Polizeikräfte konnten ihn aber bald von der Aussichtslosigkeit seines Unterfangens überzeugen.

Und dann war da noch diese unappetitliche Geschichte, als ein Asylwerber nach dem für ihn enttäuschenden Ausgang der Verhandlung seinen Kopf mehrfach heftig gegen die Wand knallen ließ, bis ihn einer der Richter, selbst ursprünglich Exekutivbeamter, endlich am Boden fixieren konnte. Überall Blut, es sah aus wie auf einem Schlachtfeld, als Rettung und Polizei eintrafen.

Jener Saal, den die vier nun betreten, ist fraglos einer der freundlichsten. Wenn die Sonne strahlt, kann sie es in ihm durch großzügig dimensionierte Fensterfronten an zwei Seiten. Heute strahlt die Sonne. Heute hat es über dreißig Grad draußen, es ist Hochsommer. Klimaanlage und schwere Vorhänge fehlen aus Gründen der Sparsamkeit, die Luft im Saal steht, unerträglich schwül ist es. Die Fenster müssen freilich geschlossen bleiben, denn ein paar Stockwerke tiefer gibt eine breite Hauptausfallstraße keine Ruhe. Alle von der Bedeutung her vergleichbaren Gerichtshöfe haben ihren Sitz im noblen Zentrum Wiens, einzig der Asylgerichtshof ist, symbolisch stimmig, weit draußen in einem Randbezirk mit hohem Ausländeranteil angesiedelt.

Letzte Woche hätte sein Mandant noch gehofft, persönlich erscheinen zu können, aber nicht nur das belastende Wetter habe ihm einen Strich durch diese Rechnung gemacht, meint der kahle, wohlbeleibte Anwalt, setzt sich, tupft die Schweißperlen auf seiner Stirn ab und streicht dann das gefaltete Stofftaschentuch mit geschwinden Bewegungen mehrmals von vorn nach hinten über seine Glatze. Herrn Kuziantis Allgemeinzustand habe sich leider, wie zu befürchten war, radikal verschlechtert.

Den Vorsitz führt heute Dr. Zellweger. Zunächst erklärt er aus naheliegenden Gründen die Kleiderordnung für aufgehoben, die drei Herren entledigen sich somit ihrer Anzugoberteile, lockern die Krawatten und knöpfen die Hemden auf. Dann ersucht der Vorsitzende den hieramts bislang nicht aufgetretenen Rechtsvertreter um einen gültigen Lichtbildausweis, läßt die Daten aufnehmen und teilt ihm mit, ab sofort dürfe er sich als amtsbekannt betrachten.

In der Folge bedauert Dr. Zellweger das traurige Schicksal des Beschwerdeführers und untermauert diese Ausführungen, indem er für die Schreibkraft und das Protokoll ausführlich aus den vorliegenden Befunden zitiert: Nierenzellkarzinom, fortgeschrittene Metastasierung, Chemotherapie, Fatigue-Syndrom, ja, Fatigue mit ue, das kommt aus dem Französischen, also massive...
mehr

Autor

Ludwig Laher, geboren 1955 in Linz, studierte Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie in Salzburg, lebt in St. Pantaleon (Oberösterreich). Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher und Übersetzungen, daneben wissenschaftliche Arbeiten.Bei Haymon zuletzt: Herzfleischentartung. Roman (2001, HAYMONtb 2009), Aufgeklappt. Roman (2003), Folgen. Roman (2005), Und nehmen was kommt. Roman (2007) und Einleben. Roman (2009).