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Liebste Tochter - Was ich dir erzählen wollte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
112 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am18.10.20211. Auflage
'Nichts kann dich vor der Kraft dieses Buches schützen.' THE OBSERVER David Chariandy, geboren in Kanada als Sohn trinidadischer Einwanderer, ist ein gefeierter Autor - und ein liebender Vater. Als seine Tochter drei Jahre alt war, wurden sie auf einem gemeinsamen Ausflug Opfer einer rassistischen Beleidigung. Zehn Jahre später schreibt er Liebste Tochter, einen Brief, wo er diesen Vorfall zum Anlass nimmt, um ihr die Geschichte ihrer Familie zu erzählen, seine Geschichte, die Geschichte seiner Eltern, aber auch eine Geschichte, die weiter zurückreicht, bis zur Sklaverei auf den Plantagen in der Karibik. Liebste Tochter ist der bewegende Versuch eines Vaters, seiner Tochter eine Herkunft zu geben, ohne sie mit der Last der Vergangenheit zu erdrücken.

David Chariandy, Jahrgang 1969, wuchs in Toronto auf, heute lebt und unterrichtet er in Vancouver. Sein erster Roman, 'Soucouyant', erhielt zahlreiche begeisterte Besprechungen und nicht weniger als elf Nominierungen für Literaturpreise. 'Francis' ist sein zweiter Roman, der international hymnisch besprochen wurde, ebenso wie der bewegende Brief an seine Tochter 'Was ich dir erzählen wollte'.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

Klappentext'Nichts kann dich vor der Kraft dieses Buches schützen.' THE OBSERVER David Chariandy, geboren in Kanada als Sohn trinidadischer Einwanderer, ist ein gefeierter Autor - und ein liebender Vater. Als seine Tochter drei Jahre alt war, wurden sie auf einem gemeinsamen Ausflug Opfer einer rassistischen Beleidigung. Zehn Jahre später schreibt er Liebste Tochter, einen Brief, wo er diesen Vorfall zum Anlass nimmt, um ihr die Geschichte ihrer Familie zu erzählen, seine Geschichte, die Geschichte seiner Eltern, aber auch eine Geschichte, die weiter zurückreicht, bis zur Sklaverei auf den Plantagen in der Karibik. Liebste Tochter ist der bewegende Versuch eines Vaters, seiner Tochter eine Herkunft zu geben, ohne sie mit der Last der Vergangenheit zu erdrücken.

David Chariandy, Jahrgang 1969, wuchs in Toronto auf, heute lebt und unterrichtet er in Vancouver. Sein erster Roman, 'Soucouyant', erhielt zahlreiche begeisterte Besprechungen und nicht weniger als elf Nominierungen für Literaturpreise. 'Francis' ist sein zweiter Roman, der international hymnisch besprochen wurde, ebenso wie der bewegende Brief an seine Tochter 'Was ich dir erzählen wollte'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843723794
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum18.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten112 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5156216
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

DER ANLASS

Einmal, du warst drei, gingen wir zusammen Mittagessen. Wir fuhren mit dem Bus in den Westen unserer Stadt, zu einem dieser Lebensmittelläden mit Mittagstisch, in dem die Sorte Essen serviert wurde, das meine Eltern belächeln würden. Das überteuerte Bioessen war sparsam auf Platten aus gebürstetem Stahl drapiert, der gläserne Spritzschutz gerade hoch genug, dass du, liebste Tochter, mit deinem Kopf unter ihm hindurchtauchen konntest, um - argwöhnisch - den »gebräunten Reis« und die »Freilandkarotten« zu beäugen. Und in diesem Moment konnte ich mich als ein Vater empfinden, der den Fängen der Geschichte weit entkommen ist und jetzt mithilfe von Grünkohl, Quinoa und einer Limonade aus »echtem Rohrzucker« für seine Lieben sorgt.

Aber wir beide sind Süßschnäbel, eine Limonade tut es da nicht, also teilten wir uns ein großes Stück Schokoladenkuchen. »Das ist gut für dich«, kichertest du. »Schokoladenkuchen ist sehr, sehr gut für dich.« Als ich versuchte, dir den Mund abzuwischen, hast du dich gewunden und über meine angestrengten Bemühungen nur gelacht. Ein ganz normaler Moment. Und ein ganz normaler Durst wurde von der üppigen Süße des Kuchens hervorgerufen, also stand ich auf und ging zu einem nahen Spender, um uns beiden ein Glas Wasser zu holen, und traf auf eine Frau, die im Begriff war, dasselbe zu tun. Sie war gut gekleidet, trug einen dünnen cremefarbenen Sommeranzug und dezentes Make-up, geschmackvoll. Wir erreichten den Wasserspender ungefähr gleichzeitig. Ich zögerte aus Höflichkeit, und genau diese Geste schien sie irgendwie zu irritieren. Sie straffte die Schultern, und während sie ihr Glas mit Wasser füllte, wandte sie sich mir halb für eine Erklärung zu: »Ich bin hier geboren. Ich gehöre hierher.«

Ihre Stimme war laut. Sie wollte, dass auch die anderen sie hörten, ihr vielleicht sogar zustimmten, aber die Menschen, die um uns herum saßen, reagierten lediglich, indem sie sich noch intensiver auf ihre Schüsseln und Teller konzentrierten. Und du, meine Tochter, die du am nächsten warst, hast es nicht verstanden oder noch nicht einmal gehört. Du warst noch ganz in einem Moment der Freude gefangen, dein eigenes Lachen im Ohr, den dunklen Schokoladenguss zwischen den Zähnen, und daher traf ich eine Entscheidung. Ich wartete geduldig, bis ich unsere Gläser füllen konnte. Ich ging vorsichtig zu dir zurück, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Ich setzte mich. Vielleicht habe ich versucht, dein Lächeln zu erwidern. Vielleicht habe ich noch einmal versucht, dir den Mund abzuwischen, oder dich gebeten, einen Schluck Wasser zu trinken, damit du nicht dehydrierst, die neueste lächerliche Angst von Eltern wie mir. Ich weiß es nicht mehr. Manchmal finde ich mich an ganz normalen Tagen in diesem Zustand wieder. Ich war gedankenverloren und still, auch nachdem ich deine wedelnde Hand vor meinen Augen bemerkt hatte. Du sahst jetzt verärgert und verwirrt aus. »Hey, was ist passiert?«, fragtest du.

Heute, zehn Jahre später, finden wir immer noch Anlässe, um zu zweit miteinander auszugehen, auch wenn ich weiß, dass du manchmal Abstand brauchst. Wir haben unter deiner Anleitung im Keller ein Zimmer für dich hergerichtet, haben die Wände in einem ganz bestimmten Blaugrünton gestrichen, besseres Licht installiert, ein Doppelbett gekauft mit deiner ersten richtigen Matratze und eine Tür eingebaut, die sich, wenn es sein muss, leise schließen lässt. Vor einem Bruder, mit dem du dir bisher ein Zimmer geteilt hattest. Vor deinen Eltern. Vor einer aufdringlichen und verwirrenden Welt. »Es ist völlig normal, dass ein Mädchen in ihrem Alter ihre Privatsphäre will«, wurde mir von anderen Eltern versichert, aber ich habe mich mein Leben lang noch nie auf das verlassen, was angeblich »völlig normal« ist. Du bist dreizehn Jahre alt, so viel steht fest. Es ist dein letztes Jahr vor der Highschool, und außerdem ist es der hundertfünfzigste Jahrestag des Landes, in dem wir beide geboren sind.

Du bist ein Mädchen, aber auch das gibt mir wenig, woran ich mich festhalten kann. Als du noch sehr klein warst, hast du beschlossen, dass du Pink hasst und Prinzessinnen auch, selbst die vorgeblich modernen, deren genormte Schönheit jetzt mit Superkräften daherkommt. Du hast dich geweigert, Kleider zu tragen, weil sie dich beim Radschlagen und Saltospringen stören. Und auch heute bist du ständig in Bewegung, die pure Energie, wie du in deinem Dojo Kampfkunst mit Erwachsenen trainierst, die dich weit überragen. Neulich saßen wir zusammen in der Küche, als im Radio ein Bericht kam über einen Mann, dessen Anklage von Mord zu Totschlag reduziert worden war. »Totschlag?«, sagtest du. »Das klingt ja noch viel schlimmer als Mord!« Ich versuchte, zu erklären, dass bei Totschlag zwar jemand zu Tode gekommen ist, aber ohne, dass es Absicht war. »Stell dir vor, ein Mann greift dich an«, setzte ich an, »du willst dich verteidigen und schlägst so hart zu, dass er nach hinten fällt, sich den Schädel an der Bordsteinkante bricht und stirbt. Du wolltest ihn nicht töten, stimmt´s? Aber es wird vielleicht als Totschlag gewertet, obwohl es ein Versehen war.« Du dachtest einen Augenblick nach und nicktest dann. »Ich verstehe, was du meinst«, sagtest du. »Das wäre schrecklich. Aber ich würde meinen Schlag nicht als Versehen bezeichnen. Sondern als kraftvoll und technisch korrekt.«

Ich habe diese Geschichte anderen Eltern erzählt, und sie lächelten darüber, manchmal aufrichtig und manchmal erkennbar unbehaglich, und es gab auch jenes Lachen, mit dem auf etwas Niedliches reagiert wird, aber von dem ich weiß, dass ich dessen eigentliche Bedeutung noch nie verstanden habe. Ich glaube nicht, dass ich als Junge in deinem Alter so selbstverständlich auf meinem Recht hätte bestehen können, meinen Körper gegen Angriffe zu verteidigen - nicht nur auf meinem Recht auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch darauf, jede Art von Abwertung, sei sie groß oder klein, als solche zu benennen und mich dagegen zur Wehr zu setzen. Dich so zu erleben, meine Tochter, so voller Vertrauen in deinen Körper, ist beeindruckend und wirft zugleich die Frage auf, wie sehr sich deine Kindheit von meiner unterscheidet. Mit Sicherheit hast du eine Weltläufigkeit, die für mich in deinem Alter undenkbar war. Du bist nach Europa und Nordamerika gereist und möchtest noch viele weitere Länder sehen; du scheinst nicht viel von der Anspannung zu spüren, die mich oft befällt, wenn ich eine Grenze passiere und neuen Leuten an fremden Orten begegne. Du besuchst eine französischsprachige Schule, nicht nur, weil deine Mutter, die in Quebec aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, sich das für dich gewünscht hat, sondern auch, weil ich hoffe, dass du nicht wie ich in nur einer Sprache eingesperrt sein wirst. Das Ironische daran ist, dass ausgerechnet dein Erfolg mich zu jener Art imaginärem Einwanderervater gemacht hat, der ich nie werden wollte: stolz auf die Schulleistungen seiner Tochter, aber schon in der siebten Klasse außerstande, ihr bei den Hausaufgaben zu helfen.

Vielleicht sind diese Unterschiede zwischen unseren Kindheiten auch nur eine Variation der Unterschiede, die es im Aufwachsen vieler Eltern und ihrer Kinder gibt. Meine Eltern etwa, deine geliebten Großeltern, waren keine imaginären Einwanderereltern, sondern reale und ganz spezifische, Schwarze und Südasiaten, die vor über einem halben Jahrhundert in dieses Land kamen und ihr Leben lang in Kinderbetreuung und Fabrik gearbeitet haben. Ihr Alltag war geprägt von vielen Demütigungen und körperlichen Schmerzen, Verzicht und Entbehrung, aber sie arbeiteten hart und zogen einen Schriftsteller groß, einen Literaturprofessor zudem, was sie mit Stolz erfüllt, gelegentlich aber auch verblüfft. Sie können nicht mit allem von mir etwas anfangen, aber ich bin überzeugt, dass sie - zu Recht - glauben, ihrem Sohn ein besseres Leben ermöglicht zu haben, und dass mich viele, wenn nicht sogar alle Schwierigkeiten, mit denen sie einst zu tun hatten, nicht mehr betreffen.

Manchmal bin ich versucht, mir für dich dasselbe vorzustellen. Du besuchst eine Schule, in deren Fluren Plakate hängen, die abstrakt vor Diskriminierung und Mobbing warnen und gleichzeitig Inklusion und Diversität feiern. Einmal wolltest du ein Projekt zur Underground Railroad machen, und deine Lehrerin unterstützte dich darin. Du wurdest an Bücher von wichtigen Autoren herangeführt, die ich auf der Highschool nicht zu lesen bekommen habe: Das Tagebuch der Anne Frank, Ich bin Malala, Ich habe einen Namen. Du zeigst mir YouTube-Videos, die ein dunkelhäutiges Mädchen gepostet hat, die genau wie ich in Scarborough aufgewachsen ist und offenbar keinerlei Angst hat, ihre Ideen, ihre Meinungen, selbst ihre ganz alltägliche Albernheit in die Welt hinauszusenden. Dieses Mädchen hat, wie du mich feierlich informierst, einiges an Schwierigkeiten und Selbstzweifeln durchgemacht, hat all das aber überwunden und Mut gefasst und hilft jetzt anderen dabei, genauso stark zu werden wie sie.

Es gibt einen Song namens »On Children« von der Gruppe Sweet Honey in the Rock. Ich...
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Autor

David Chariandy, Jahrgang 1969, wuchs in Toronto auf, heute lebt und unterrichtet er in Vancouver. Sein erster Roman, "Soucouyant", erhielt zahlreiche begeisterte Besprechungen und nicht weniger als elf Nominierungen für Literaturpreise. "Francis" ist sein zweiter Roman, der international hymnisch besprochen wurde, ebenso wie der bewegende Brief an seine Tochter "Was ich dir erzählen wollte".